Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen ist das Buch „Ich oder Ich. Die wahre Geschichte eines Mannes, der seinen Vater getötet hat“ von Mathias Illigen.
Die wahre Geschichte, die Illigen erzählt, ist gerade für Psychosebetroffene ungeheuer verstörend. Es handelt sich um den wahrgewordenen Albtraum eines jeden Psychosebetroffenen. Illigen ermordet in seiner ersten Psychose auf brutale Weise seinen eigenen Vater.
Nun kennt jeder Psychosebetroffene den Kontrollverlust in der Psychose: Der eine läuft plötzlich nackt durch einen Park, ein anderer spricht über Dinge, über die er sonst nie sprechen würde, ein dritter beschuldigt nahe Angehörige schrecklicher Verbrechen. Für Illigen war dieser Kontrollverlust, der jeder akuten Psychose anhaftet, fatal: Er denkt, sein Vater ist der Kopf einer weltweiten Verschwörung gegen ihn und ermordet ihn.
Mir ist in der Lektüre des Buchs aufgefallen, dass Illigen im Grunde viele gesunde psychische Anteile hat. Er lebt vor der ersten Psychose soweit normal, mitsamt Promotionsstudium, Freundin und Wohnung. Vor allem hat er eine hohe Selbstwirksamkeit: Er glaubt, dass er durch sein Handeln sein Leben gestalten kann – genau wie ein gesunder Mensch. Diese Selbstwirksamkeit bleibt ihm auch in der Psychose erhalten. Und so ist das eigentlich Erstaunliche, dass er von Anfang an kämpft und sich wehrt gegen die von ihm in der Psychose wahrgenommene Verschwörung, er reist sogar nach Rom, um den Papst zu sprechen.
In meiner Erfahrung sind seine Wahnvorstellungen nicht ungewöhnlich, so geht das in vielen Fällen. Fatal ist, dass er immerzu glaubte, sich wehren zu können, sich wehren zu müssen. Nach der Tat gelangt er in psychiatrische Behandlung und ist binnen weniger Wochen symptomfrei – was charakteristisch ist bei der Erstbehandlung mit Neuroleptika. Mit der gleichen Selbstwirksamkeit, die ihn zu der Tat getrieben hat, setzt er sich nun daran, auf die Entlassung aus der Forensik hinzuarbeiten.
Soweit ich es sehen kann, ist Illigen nicht nur das Opfer seiner Wahnvorstellungen geworden, sondern auch das Opfer seiner gesunden Anteile, der hohen Selbstwirksamkeit, seines Selbstbewusstseins und Kampfeswillens. Niemand von uns mit einer Psychose möchte gerne in seiner Haut stecken. Was er erlebt und getan hat, ist ein Albtraum.
Und doch ist dies auch ein Buch darüber, dass das Leben auch nach der schlimmsten Psychose weitergeht. Dass es sogar Menschen gibt, die Illigen unterstützen und an seiner Seite sind. Als Betroffener kann man nicht so leicht sagen, dass er keine Verantwortung für die Tat hat. Und doch kennen wir alle den Kontrollverlust und fürchten uns vor uns selbst.
Wer sich mit den Abgründen einer Psychose und dem Trost, der im Neuanfang liegt, befassen will, dem sei dieses Buch empfohlen.