Gerade erschienen im Psychiatrie Verlag ist das Buch von Asmus Finzen „Stigma psychische Krankheit. Zum Umgang mit Vorurteilen, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen“.
Das Buch bietet einen engagierten und nuancierten Überblick über das Thema Stigma psychischer Erkrankung. Schon mit den ersten Zeilen wird klar: Hier schreibt ein Profi, der sich Jahrzehnte mit Schizophrenie befasst hat und der genau weiß, wie belastend dieses Stigma für alle Betroffenen und ihre Angehörigen ist. Herr Finzen bezeichnet das Stigma als zweite Krankheit, die eine Komplikation für die eigentliche psychische Erkrankung bedeutet. Damit gemeint ist, dass die Stigmatisierung bedeutet, dass eine schizophrene Psychose schlechter verläuft, als es eigentlich nötig wäre. Dies liegt zum einen an der Entmutigung der Betroffenen, zum anderen aber auch an der ganz realen Verringerung ihrer Lebenschancen. Auch kann diese zweite Krankheit verhindern, dass die Betroffenen und ihre Familien sich rechtzeitig Hilfe suchen, denn auch diese Hilfe ist stigmatisiert.
Was mich besonders an dem Buch überzeugt hat, ist der differenzierte Blick auf das Stigma. So schreibt Herr Finzen auch, dass Entstigmatisierung durch Wissensvermittlung über Psychosen einfach scheitert. Dass auch Psychiater etwa soziale Distanz zu Betroffenen suchen – somit kann das alles eigentlich nichts mit Wissen zu tun haben. Die Ursache der Stigmatisierung scheint in einem gesellschaftlichen Bedürfnis zu liegen, sich von Randgruppen abzugrenzen.
Die Stigmatisierung ist ganz real und greifbar für jeden, der versucht, Betroffenen zu helfen. In meiner Arbeit stellt die Wohnungssuche für Betroffene eine immer wieder scheiternde Aufgabe dar. Von den Betroffenen, mit denen ich arbeite, ist so gut wie niemand in psychotherapeutischer Behandlung und so gut wie niemand hat Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt. Niemand lebt in langjähriger stabiler Partnerschaft. Und ganz traurig: Die Wohnbetreuung, die wir leisten, stigmatisiert die Betroffenen weiter und zerstört ihre geringen Chancen auf dem Wohnungsmarkt, dem Arbeitsmarkt, aber auch was enge persönliche oder therapeutische Beziehungen angeht. Wir helfen, wir stabilisieren, aber das alles hat für die Betroffenen auch einen Preis, nämlich von der Allgemeinheit stigmatisiert zu werden.
Herr Finzen schlägt verschiedene Strategien vor, um diese Stigmatisierung und ihre Effekte für einzelne Betroffene zu mildern: Betroffene sollten Gruppen suchen, in denen sie akzeptiert werden und wo sie auch mit der Erkrankung nicht abgelehnt werden. Das können Selbsthilfegruppen, Psychoseseminare oder was auch immer sein. Betroffene sollten sich gut informieren über ihre Erkrankung und im persönlichen Kontakt mit Menschen versuchen, diese Vorurteile zu entkräften. Vor allem sollten sie sich bewusst machen, dass Diskriminierung ein Unrecht ist.
Meine Erfahrung ist die, dass Betroffene leichter gesellschaftlich akzeptiert werden, wenn sie (fast) normal leben, wenn greifbar ist, dass sie (fast) normale Menschen sind. Aber auch dann muss man mit Rauswurf und Sanktionierung rechnen, wenn man auffällig wird. Im persönlichen Kontakt spielt das Stigma oft erst einmal keine große Rolle, außer es ist greifbar durch Betreuung oder Selbstoffenbarung zum falschen Zeitpunkt. Aber wehe man wird auffällig! Schon viele Beziehungen und Zugehörigkeiten sind durch eine einzige psychotische Auffälligkeit zerstört worden.
Mit Herrn Finzen würde ich mir wünschen, dass auch Menschen mit einer Psychose die normalen Lebenschancen erhalten: Arbeit, Wohnung und Freunde. Und dass diese nicht immer wieder durch psychotische Entgleisungen auf dem Spiel stehen. Und ich würde mir wünschen, dass noch mehr Menschen sich für Menschen mit einer schizophrenen Psychose so engagieren wie Herr Finzen.