Im Verlag J.H.W. Dietz Nachf. ist das Buch „Neben der Spur. Wenn die Psychose die soziale Existenz vernichtet. Eine Frau erzählt“ von Christiane Wirtz erschienen.
In diesem Buch, das sich sehr spannend, geradezu fesselnd liest, berichtet Christiane Wirtz autobiographisch und journalistisch von einer langen unbehandelten Psychose, die ihr materiell und sozial, auch beruflich alles genommen hat, was sie sich aufgebaut hatte. Mit Hilfe von Interviews mit Menschen, mit denen ihr Leben in der Psychose in Berührung kam, erzählt sie, wie sie nach dem Ausschleichen der Medikamente in einer neuen Stadt und ohne tragende Beziehungen in Wahngedanken verfällt. Das Gefühl von Bedrohung wird gut dargestellt. Dann verliert Frau Wirtz ihre Arbeit als Journalistin und verbringt noch über zwei Jahre verschanzt in ihrer Eigentumswohnung. Die finanziellen Sorgen und die soziale Isolation steigern sich immer mehr, während ihr Leben um die Wahnkonstrukte und ihren Versuch, sich gegen diese vermeintliche Bedrohung zu wehren, kreist.
Das Buch schildert anschaulich das wahnhafte Denken und ihre Versuche der Gegenwehr, die unzähligen Briefe und Beschwerden, Eingaben und Anzeigen, mit denen sie ihre Umwelt überschüttet. Bizarre Details wie die Wahnidee, sie sei gleichzeitig mit John F. Kennedy, Wowereit, Mick Jagger und Netanyahu eng verwandt, zeigen, wie sehr das Denken in der Psychose entgleist und, wenn es handlungsleitend wird, das Leben zerstört.
Der Bericht ist authentisch, einige Denkmuster kann ich als Betroffene nachvollziehen. Gleichzeitig ist es sehr erschreckend, dass jemand, deren journalistische Begabung in dem Buch deutlich wird und die durchaus beruflich erfolgreich war, so abstürzen kann, so viel verlieren und erst durch eine gesetzliche Betreuung und Zwangseinweisung mit Zwangsmedikation wieder auf dem Boden der geteilten Realität ankommt.
Berührend ist, dass Frau Wirtz weder das Geschehene beschönigt noch ihren Wunsch nach Kontakt mit ihr wichtigen Menschen, nach Beziehung und Würde, nach Miteinander und Verständnis aufgibt. Sie bagatellisiert nicht das zerstörerische Geschehen, aber versucht auch, letztlich auch mit ihrem Buch, zu sagen, dass es nicht als ein Urteil über ihre Person und Persönlichkeit gesehen werden sollte. Kein Psychosebetroffener ist nur seine Erkrankung, niemand sollte reduziert werden auf die Psychose. Dieser Versuch, Würde zu zeigen und zu finden, miteinander zu sprechen, ein Miteinander zu suchen, zeigt, wer Frau Wirtz eigentlich ist und wie sie eigentlich leben möchte.
Schön ist, dass dieser Bericht einiges an Echo in den Medien und bei Lesern ausgelöst hat, vielleicht etliche Menschen zum Nachdenken bringen kann, vielleicht sogar einen Beitrag zu etwas Verständnis und geringerer Stigmatisierung leisten kann. Frau Wirtz ist zu wünschen, dass sie zum einen um das Verlorene trauern kann, sich so aus der Umklammerung der Vergangenheit ein wenig lösen und zum anderen einen neuen Weg finden kann. Ihr Buch ist insbesondere Lesern, die bisher keine vertiefte Berührung mit der Psychiatrie hatten, zu empfehlen, um einen Einblick in das Innenleben mit Psychose zu erhalten.