Filme, die die Welt erklären
Ich bin nicht psychisch krank!
Es ist ein häufiger Gag in allen Filmen und Comics von „Asterix“: Sein bester Freund Obelix ist nicht dick. Er protestiert heftig dagegen. Manchmal schlägt er zu, wie nur er das kann. Manchmal protestiert er, wird „nur“ verbal wütend oder wird rot. „Kein Fett, nur Muskeln!“ (1) Es kommt aber auch vor, daß er nur hilflos klagt. „Asterix! Hast du das gehört?“ Doch Leugnen hilft nicht. Den Wortsinn „überdurchschnittlicher Bauchumfang“ erfüllt er. Selbstverständlich ist er dick. Und er weiß es auch selbst. Denn als ein Legionär über Asterix und ihn als „zwei Dicke“ redet, protestiert er: „Hier sind keine zwei Dicken. Nur einer. Und der ist nicht dick.“
Das Problem, das er hat, ist nicht der Bauchumfang selbst. Das Problem hat eigentlich auch nicht er: Es ist die Bewertung durch die nicht-dicke Gesellschaft: „Dicke schwitzen wie die Schweine, stopfen fressen in sich rin … und ham‘se endlich 10 Pfund abgenommen, ja dann kann man das noch nicht mal sehen“ (2) Obelix wehrt sich eigentlich also nicht gegen seinen eigenen Bauchumfang, sondern gegen die Vorurteile, die sich auf diesen beziehen. Er entspricht ihnen – naja, bis auf die Essensmenge, aber das ist eben ein anderer Filmwitz – ohnhehin nicht, was man spätestens in einer Schlägerei merkt.
Der Obelix-Dick-Witz ist eine Übertragung moderner Probleme in ein vormodernes Zeitalter. In Zeitaltern mit Hunger galt Dick-Sein als Statussymbol: man konnte sich den Extrateller leisten. Bei gewissen Berufen galt es ohnehin: Ein Fleischer oder Zuckerbäcker ohne Bauch – ja traut der seinen eigenen Produkten nicht?!
Was leider damals wie heute galt: Die Leute müssen erst vom Gegenteil ihrer Vorurteile überzeugt werden. Da sind alle zu beneiden, die es können wie Obelix, wenn auch besser mit friedlichen Methoden.
Ich sehe deutlich die Parallele zwischen Dicken wie Obelix und psychisch „Kranken“: Bei beiden rückt in der Sicht vieler anderer ein einziges Merkmal so sehr in den Vordergrund, daß der Rest dahinter unsichtbar wird. Bei beiden ist dieses eine Merkmal mit negativen Vorurteilen verbunden. Nicht nur deswegen können beide es nicht mehr hören. Ich selbst habe in Obelix meine eigene (zu häufige) Reaktion wiedererkannt.
Julian / Braunschweig
(1) Das glaubt man ihm auch, am besten freiwillig.
(2) Zu diesem Lied ist umstritten, ob Westernhagen diese Vorurteile selbst verbreitet oder ob er nur offen ausdrückt, welche Vorurteile andere haben. An dieser Stelle ist nur zu schreiben, daß diese Vorurteile wirklich existieren.
Julian Kurzidim ist Vorstandsmitglied des Selbsthilfevereins intakt e.V. und Mit-Herausgeber des Buchs „Der ängstliche Panther“. Zu einem weiteren Beitrag von ihm auf Verrückte Bücher geht es hier.
Obelix hat eine Prominenz erreicht, die es ihm ermöglicht, mit einem immer wiederkehrenden Thema zu kokettieren. Das gleiche gilt wohl auch sowohl für die erwähnten, als auch nicht erwähnten Parallelen. Wer sich in dieser Situation befindet, kann sich glücklich schätzen: man gehört zur Elite, denn selbst die offizielle Diagnose ist kein niederschmetterndes Urteil mehr, sondern ein Markenzeichen, das zu allerlei Privilegien berechtigt. Im Gegensatz dazu steht die Mehrzahl derer, die sich nur eine vage Vorstellung davon machen können, was mit ihnen nicht stimmt, wenn sich das eigene Umfeld unerwartet befremdet zeigt, betreten schweigt und die von der Schwarmintelligenz abtrünnig gewordenen lautlos im Vakuum zurücklässt. Wehe, wenn man dann nicht einmal auf eine Diagnose verweisen kann!