Sibylle Prins: „Tagtraumzeit, Nachdenkzeit, Lächelzeit“

In ihrem neuesten Buch „Tagtraumzeit, Nachdenkzeit, Lächelzeit“ veröffentlicht Sibylle Prins eine Sammlung kürzerer Texte und auch Gedichte rund um den ganz normalen Wahnsinn des Lebens mit einer psychischen Erkrankung.

Es sind sehr schöne Texte: klar, direkt, offen, in einer einfachen Sprache geschrieben – und vor allem sind die Texte klug. Mir sind insbesondere zwei Anmerkungen zur Psychiatrie im Gedächtnis geblieben.

Zum einen spricht Sibylle Prins von einer Infantilisierung, die die Psychiatrie betreibt. Das ist klug beobachtet. Gerade Menschen mit einer Psychose werden nicht wie Erwachsene behandelt in der Psychiatrie, weder im Krankenhaus noch im ambulanten Bereich. Da sollen Mandalas ausgemalt werden, da soll getrommelt oder ein Aschenbecher getöpfert werden, da werden Medikamente aufgedrängt, als wäre man ein trotziges Kind. Da spielt das Essen eine wichtige Rolle, da wird den Betroffenen nur ein Taschengeld ausgezahlt. Warum nur werden Menschen mit Psychosen so selten im Behandlungsalltag für voll genommen, wie Erwachsene behandelt? Da wird oft vergessen, dass auch Menschen mit Psychose in erster Linie für sich selbst verantwortlich sind – im Gegensatz zu einem kleinen Kind. Gut dass Sibylle Prins uns daran erinnert!

Zum anderen sind mir Sibylle Prins‘ Recherchen unvergesslich zu der Frage, wer eigentlich chronisch psychisch krank sei. Tatsächlich ist ja vor allem im ambulanten Bereich gerne die Rede von den chronisch psychisch Kranken. Aber wer sind die eigentlich? Sibylle Prins hat sich auf die Suche gemacht und erstaunlicherweise weder unter Wohnheimbewohner noch in der Werkstatt für behinderte Menschen jemanden gefunden, der sich selbst als chronisch psychisch krank bezeichnet. Ganz offenkundig wird hier das Auseinanderklaffen der Perspektiven: Was für das Betreuungspersonal offenkundig scheint, passt nicht in das Selbstbild der Betroffenen. Warum also nicht einfach sagen: Es gibt gar keine chronisch psychisch Kranken, sondern nur Menschen, die phasenweise Hilfe brauchen, damit ihr Leben eine positive Entwicklung nimmt. Übrigens kommt diese Hilfe in der Praxis selten von den Betreuern.

Eine wunderschöne Sammlung nachdenklicher und kluger Texte für alle, deren Leben mit der Psychiatrie in Berührung gekommen ist.

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